Die Naturmedizin boomt - vielfach aber auf Kosten der Natur
Thymian ist nicht nur ein beliebtes Küchenkraut, sondern auch eine Heilpflanze.
Kaum ein Hustenbonbon oder ein Hustensaft ohne Thymian. Deutschland
führt pro Jahr etwa 500 bis 1000 Tonnen Thymian ein. Ein Teil kommt aus
Polen, Frankreich und Ungarn, wo die Pflanze angebaut wird, ein grosser
Teil aber sind Wildpflanzen. Vor allem in der Türkei und in Spanien wird
wilder Thymian in grossen Mengen gesammelt. Im Südosten Spaniens zum
Beispiel werden jährlich mit Maschinen etwa 75 Millionen Thymianbüsche
mit Wurzeln ausgerissen.
Dieser Raubbau bedroht inzwischen nicht nur den Bestand der
Pflanze selbst, sondern beschleunigt auch die Bodenerosion. Und das
bedeutet in diesem niederschlagärmsten Gebiet Spaniens eine grosse
Gefahr für das gesamte Ökosystem.
Nur ein Beispiel von den vielen, die im neuen Journal des WWF (World
Wide Fund for Nature) aufgeführt sind. Damit will die
Naturschutzorganisation auf ein Problem aufmerksam machen: "Der
Apotheke Wildnis droht vielfach der Ausverkauf."
1998 sind weltweit 440 000 Tonnen Heilpflanzen im Wert von 2,2
Milliarden Mark gehandelt worden. Allein in der Europäischen Union habe
sich der Umsatz in den letzten zehn Jahren verdoppelt, so der WWF. Die
heilenden Blätter und Blüten, Rinden und Wurzeln stammen vor allem aus
China, Indien, Afrika, Südost- und Osteuropa. Meistens aber wird die
Naturmedizin nicht naturfreundlich gewonnen: Etwa 90 Prozent der 2000
wichtigsten Heilkräuter-Arten stammen nicht aus angebauten Kulturen,
sondern aus der Wildnis. "Von Arnika bis Yamswurzel werden viele Pflanzen in grossem Stil unkontrolliert
ausgerissen und ausgegraben", heisst es im WWF-Journal.
Vielfach sind die Pflanzen deshalb schon gefährdet. Zum Beispiel das Frühlings-Adonisröschen (Adonis vernalis),
das zur Linderung von Herzbeschwerden eingesetzt wird. Rumänien etwa
hat noch Anfang der 90er Jahre pro Jahr bis zu 20 Tonnen wild wachsender
Adonisröschen exportiert. Mittlerweile sind jedoch die Wildbestände so
stark dezimiert worden, dass Rumänien nur noch knapp eine Tonne
ausführen kann.
Seit 1997 sind in Rumänien und Bulgarien Ernte, Handel und
Ausfuhr gesetzlich geregelt. In Italien und den Niederlanden zum
Beispiel ist das Adonisröschen bereits ausgestorben. In zwölf weiteren
Ländern, auch bei uns, steht die gelbe Frühlingsblume auf der Roten
Liste der gefährdeten Arten.
Das Adonisröschen ist eine von etwa 150 Heilpflanzenarten, die in Europa
durch Wildsammlung deutlich zurückgegangen sind, hat die deutsche
Heilpflanzenexpertin Dr. Dagmar Lange in einer Studie für TRAFFIC, das
internationale Artenschutzprogramm des WWF und der Weltnaturschutzunion
IUCN herausgefunden. Weltweit sollen mindestens 35 000 Pflanzenarten für
medizinische Zwecke eingesetzt werden. Viele davon sind gefährdet.
Der WWF startet nun eine neue Initiative, um wildlebende
Heilpflanzen und auch Tiere zu schützen, ohne gleichzeitig der
Naturmedizin in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas ihre
Grundlagen zu entziehen. Dazu will die Organisation etwa Händler, Ärzte,
Regierungen aufklären, sich für mehr Kontrolle der Sammeltätigkeit und
verbesserte Rechtsstandards für den Handel einsetzen und einzelne
Projekte fördern, damit Heilpflanzen angebaut werden. So unterhält der
WWF etwa auf Sri Lanka eine Zuchtstation für Heilpflanzen. Das
Wichtigste sei, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, "dass wir die unserer
Gesundheit dienenden Pflanzen und Tiere schützen müssen, um sie weiter
nutzen zu können". Dafür gibt es ganz einfache Regeln, deren Befolgung
der WWF fordert:
- Vermehrung durch Zucht, wo immer möglich,
- kontrollierte Wildentnahme, wo verantwortbar,
- Einschränkung und Verbot, wo notwendig.
Das Bibergeil wurde dem Biber zum Verhängnis
Tiger, Nashörner, Seepferdchen - Tierarten sind heute
gefährdet, weil sie für die traditionelle Medizin wichtig sind und
deshalb ausgerottet werden. Das ist kein neues Problem, und auch kein
exotisches: In Mitteleuropa sind in den letzten Jahrhunderten Biber fast
ausgerottet worden - weil das Bibergeil, ein Sekret aus birnenförmigen
Drüsen am Hinterleib, geradezu als Allheilmittel gegen Krankheiten aller
Art gegolten hat, wird im neuen WWF-Journal berichtet.
Bibergeil oder Castoreum ist ein aromatisch riechendes, bitter
schmeckendes, salbenartiges Sekret, das Biber zur Paarungszeit
ausscheiden. Über 200 Rezepte gab es in der Volksmedizin. Bei
Kopfschmerzen, Krämpfen, Wassersucht und Hysterie sollte es helfen. Ob
es wirklich hilft, ist unbekannt. Eine gewisse Wirkung des Sekrets
scheint auf dem Salizin zu beruhen, dem Extrakt aus der Weidenrinde, den
Biber mit der Nahrung aufnehmen.
Noch bis vor 150 Jahren wurde Bibergeil fast mit Gold
aufgewogen. Erst 1891 verschwand es aus dem Deutschen Arzneibuch - nicht
zuletzt deshalb, weil es kaum noch Biber gab in Mitteleuropa.
Letzte Änderung: 01.10.2020 / © W. Arnold