Flexible Alkaloidsynthese durch Genetic Engineering
Schlafmohn (Papaver somniferum): Wirkstoff-Fabrik und Speiseöl-Liferant
Das Morphin, der bei weitem geläufigste Inhaltsstoff des Schlafmohns, stellt viele andere Substanzen dieser Pflanze in den Schatten. Forscher aus Halle sind jetzt dabei, mit genetisch veränderten Hochproduktionsstämmen die weniger bekannten Alkaloide des Mohns ins rechte Licht zu rücken.
Der Schlafmohn, botanisch Interessierten als Papaver somniferum bekannt, bringt mit über 100 Alkaloiden ein breites Spektrum an
pharmakologisch wichtigen Substanzen hervor. Diese werden in der Botanik
Sekundärmetaboliten genannt; da sie nicht direkt mit lebenswichtigen
Funktionen der Pflanze in Zusammenhang stehen. Sämtliche Alkaloide baut
die Mohnpflanze in kleinen enzymatischen Schritten aus lediglich zwei
identischen Aminosäurebausteinen auf, genauer gesagt aus zwei
Tyrosinmolekülen. So liefert der milchige Pflanzensaft etwa das
narkotisch wirkende Codein und den Hustendämpfer Noscapin sowie
Papaverin, das einerseits Muskeln erschlaffen lässt aber inzwischen auch
von Tumorforschern genauer untersucht wird.
Von all diesen Verbindungen stellt die Pharmaindustrie nur das
Papaverin synthetisch her. Bei allen anderen Alkaloiden ist sie auf die
raffinierte Biosynthese der Pflanzen angewiesen und beschränkt sich
lediglich auf das Ernten. Obwohl Chemiker inzwischen 19 Totalsynthesen
für das Morphin entwickelt haben, scheitern alle letztlich an den
mageren Ausbeuten. Die leistungsfähigsten Synthesen erreichen weniger
als 30 Prozent - kaum ausreichend für einen lohnenden industriellen
Prozess.
Massgeschneiderte Mohnpflanzen sind das Ziel
Da sich die komplexen Moleküle nicht im Labor herstellen lassen, versuchen Forscher nun, massgeschneiderte Pflanzen zu entwerfen. Sie verändern die Gene so, dass in den Pflanzen der Bau einzelner Alkaloid-Komponenten gefördert oder unterbunden wird. Dies nennt man "metabolic engineering". Das klingt jedoch einfacher als es ist, denn auch wenn Schlafmohn eine der ältesten bekannten Heilpflanzen ist, umweht sie immer noch eine Fülle von Geheimnissen. So kennen Wissenschaftler zwar inzwischen alle 17 Enzyme, die Morphin aus den beiden Aminosäuremolekülen entstehen lassen. "Die Biosynthese ist enzymatisch vollständig aufgeklärt, aber nicht ihre Regulation", erläutert Dr. Susanne Frick vom Institut für Pflanzenbiochemie in Halle das Problem. Weshalb die Pflanzen zu welchem Zeitpunkt auch immer wie viel Morphin, Codein, Sanguinarin oder Papaverin herstellen, versteckt sich noch in den langen Fäden des Genoms. Aber das soll sich ändern. Mit der Kenntnis der Gene könnte man vermutlich das Spektrum der Naturstoffe in der Pflanze beeinflussen. Denkbar wäre etwa eine Pflanze, die nur so vor dem antimikrobiellen Sanguinarin strotzt, aber kaum Morphin produziert.
Morphinfreier Mohn wäre ein ideales Nahrungsmittel
"Unser Ziel ist es, Hochproduktionsstämme für den Einsatz in der Pharmaindustrie und Nullstämme für die Lebensmittelindustrie zu erzeugen", erzählt Frick. Denn nicht nur für Mediziner ist der Schlafmohn interessant. Die Samen liefern vitamin-, protein-, linolsäure- und linolensäurereiches Öl, das ein wertvolles Nahrungsmittel sein könnte, wäre da nicht die klebrige Schicht, die die winzigen schwarzen Samenkörner aneinander bindet und die nur so vor Alkaloiden strotzt. Das Mohnöl wird bislang vorwiegend von der chemische Industrie verwendet, denn auch alle züchterische Kunst reicht nicht aus, die Pflanzen vom Morphin zu befreien.
"Deshalb gehen wir jetzt den genetischen Weg", so Frick. Die Nullstämme aus dem Genlabor würden völlig morphinfreie Pflanzen liefern und damit auch deren Weg auf deutsche Felder ebnen. Denn ohne Morphin gibt es keinen Grund mehr für das Mohnanbauverbot. Legal wird Schlafmohn nur in drei Ländern angebaut: Australien, Indien und der Türkei. Etwa 160 Tonnen Morphin liefern diese Staaten pro Jahr an die Pharmaindustrie. Diese methyliert dann etwa 90 Prozent des Morphins zu Codein. Den Rest überführt sie in andere pharmakologisch wirksame Derivate wie Dihydrocodeinon oder 14-Hydroxydihydrocodeinon, Hustenstiller und Analgetika.
Die illegale Produktion übersteigt die legale jedoch um das Zehnfache. Nach Schätzungen werden weit über 1000 Tonnen im Jahr zu Heroin verkocht. Auch in alten Bauerngärten findet sich noch die eine oder andere verbotene Mohnstaude, war doch die traditionelle Küche ohne Mohnkuchen oder Mohnbutter über süssen Knödeln kaum denkbar. Aber ohne Morphin kein Heroin und damit könnten die Forscher aus Halle den Schlafmohn zu einem einfachen Lebensmittellieferanten degradieren.
Den Genen auf der Spur
Vor den Pflanzen nach Mass steht jedoch das Verständnis für die Regulationsmechanismen. So fragen sich die Wissenschaftler, weshalb sie in Zellkulturen aus Papaver somniferum zwar alle Enzyme für die Morphinsynthese finden, die Zellen dennoch kein Morphin bilden. Oder wie es kommt, dass hoch gezüchtete Sorten immerhin bis zu zehn Prozent Alkaloide im Latex enthalten können. Oder weshalb der Schlafmohn die einzige Mohnart ist, die überhaupt Morphin bildet - abgesehen von Papaver setigerum, der als der wilde Vorläufer des heutigen Schlafmohns angesehen wird.
Um diese und andere Fragen beantworten zu können, haben die Forscher aus Halle zunächst einen Blick auf die Gene riskiert. "Wir haben acht der Gene aus dem Alkaloidstoffwechsel aufgeklärt", berichtet Frick. Von denen gehören sechs in den Morphinzweig der Synthesen.
Die drei Wege, die die Alkaloide in der Pflanze einschlagen können teilen sich auf der Stufe des Reticulins in den Morphin-, den Benzylphenantridin- und den Papaverinzweig. Die Wissenschaftler haben vier der Gene ausgewählt und sie in Modellpflanzen einzeln gezielt blockiert oder aktiviert.
Das komplexe Gleichgewicht der Stoffwechselzweige
Dadurch hoffen sie, das natürliche Gleichgewicht der drei Pfade zu verschieben. "Die Blockaden und Schleusen funktionieren", lässt Frick vorsichtig durchblicken. Allerdings sind sich die Forscher nicht sicher, wie sich eine solche Verschiebung des Gleichgewichtes langfristig in der Pflanze auswirkt. "Ein üblicher Mechanismus bei Überproduktion eines Zwischenprodukts ist, dass dieses seine eigene Bildung letztlich hemmt", erklärt Frick. Aber das erste Ziel sei noch nicht die Produktion von bestimmten Inhaltsstoffen, sondern das Studium der Biosynthesemechanismen anhand der Alkaloidspektren, betont sie. Dafür brauchen die Wissenschaftler zunächst einmal Pflanzenmaterial. Das heisst, die veränderten Pflanzen müssen sich vermehren können.
Aber die Zeichen stehen gut. Die genetischen Konstrukte sind fertig und in den Gewächshäusern des Institutes für Pflanzenbiochemie entsteht gerade die erste Tochtergeneration der Pflanzen, die dem Schlafmohn die letzten Geheimnisse entlocken sollen.
Letzte Änderung: 01.10.2020 / © W. Arnold